Hamburg, 8. September 2023 – Die Gesundheitspolitik der Bundesregierung gefährdet die ambulante vertragsärztliche und vertragspsychotherapeutische Versorgung in Hamburg. Es drohen verkürzte Sprechstundenzeiten, längere Wartezeiten, Aufnahmestopps und Praxisschließungen. Darauf wies heute die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg auf einer Pressekonferenz hin. Außerdem kündigte sie Protestmaßnahmen an und forderte die Bundesregierung auf, endlich deutlich gegenzusteuern und das Vertragsarztsystem zu stärken.
„Der wirtschaftliche Druck ist in vielen Praxen mittlerweile unerträglich geworden“, sagte Dr. Michael Reusch, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Hamburg. „Die Bundespolitik lässt die Praxen mit der Inflation, mit steigenden Personal- und Energiekosten nach wie vor allein und entzieht der Versorgung noch Geld, das vor allem für die Versorgung von Neupatienten vorgesehen war.“ Außerdem mangele es an Wertschätzung für die Praxisteams von Seiten der Politik. „Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die junge Generation an Ärztinnen und Ärzten immer stärker den Weg in die Niederlassung scheut.“ Reusch kündigte an, dass die KV Hamburg ihre Mitglieder und deren Praxisteams für den 2. Oktober zu einer Protest- und Fortbildungsveranstaltung einladen werde.
„Eine Praxis wirtschaftlich zu führen, wird immer schwieriger“, sagte John Afful, Vorstandsvorsitzender der KV Hamburg. „Der Bundesgesundheitsminister verspricht den Menschen eine vollumfängliche ambulante Versorgung, die Praxen bekommen aber zum Teil nur 80 Prozent ihrer Leistungen vergütet.“ Hier müsse die Bundespolitik dringend gegensteuern, sonst werde man sich von der ambulanten Versorgung, so wie wir sie kennen, verabschieden müssen. „Schon jetzt sehen wir, dass Praxen vor allem in sozial schwächeren Stadtteilen keinen Nachfolger finden.“
Dr. A.-Katharina Doepfer, niedergelassene Fachärztin für Orthopädie, Unfallchirurgie und Kinderorthopädie, wies darauf hin, dass der Versorgungsbedarf steige, die Praxis aber immer größeren wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt sei. „Es mangelt an einer tragfähigen Finanzierung unserer Arbeit, wir erhalten keinen Inflationsausgleich oder Vorhaltekosten, die Versorgung jedes vierten Patienten zahlen wir aus eigener Tasche – das können wir uns schlicht nicht mehr leisten.“
„Es wird immer schwieriger, Personal zu finden und an die Praxis zu binden“, sagte Dr. Mike Müller-Glamann, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Hamburg, „Mitarbeiterinnen wandern in Krankenhäuser ab, weil dort einfach mehr gezahlt wird“. Das gefährde mittelfristig die patientennahe Versorgung. „Wir fordern daher vom Bundesgesundheitsminister, zum einen endlich sein Versprechen einzulösen und die Hausärzte, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, zu entbudgetieren – und zum anderen das Honorar so zu erhöhen, dass Praxen die Versorgungsleistungen für ihre Patientinnen und Patienten aufrechterhalten können.“
„PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“ – Bundesweite Aktion der Kassenärztlichen Vereinigungen
Die KV Hamburg hat diese Pressemitteilung im Rahmen der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“ veröffentlicht. Mehr Informationen dazu finden Sie auf der Website der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Vorherige Pressemeldung
„Mit Ansage in die Katastrophe!“ – Hamburgs Ärzte protestieren weiter für eine gute Patientenversorgung
Pressemeldung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg
Hamburg, 14.12.2022 - Der Protest geht in die nächste Runde. Unter dem Slogan `Diese Gesundheitspolitik macht krank´ warnen Hamburgs Vertragsärztinnen und -ärzte und Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten vor einer weiteren Verschlechterung der ambulanten Patientenversorgung – und informieren ihre Patientinnen und Patienten mit Flyern und Postkaten im Wartezimmer. Im Fokus der Kritik steht die Gesundheitspolitik der Bundesregierung, die zu verkürzten Sprechzeiten, längeren Wartezeiten, Aufnahmestopps und Praxisschließungen führt.
Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Hamburg: „Wir steuern mit Ansage in die Katastrophe. Wir warnen seit Jahren vor einem drohenden Ärztemangel; wir fordern seit Jahren die volle Bezahlung aller Leistungen. Was tut die Politik? Sie tut nichts. Schlimmer noch: Sie nimmt die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit ihren Problemen gar nicht wahr – mit fatalen Folgen: Da es inzwischen viel zu wenig Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gibt, werden die Auswirkungen dieser Entwicklung für die Patientinnen und Patienten noch viel deutlicher zu spüren sein.“
Dr. Andreas Bollkämper, niedergelassener Facharzt für Radiologie in Hamburg: „Während die Krankenhäuser sich großzügiger Unterstützungspakete durch die Politik erfreuen, gehen die Praxen komplett leer aus: Kein Inflationsausgleich, keine staatliche Unterstützung bei massiv steigenden Energie- und Personalkosten; den Praxen werden sogar noch Mittel entzogen. Das muss zwangsläufig zu Leistungskürzungen führen. Die Bundesregierung setzt die Praxen unter massiven Druck – und nimmt die Verschlechterung der Versorgung für unsere Patientinnen und Patienten billigend in Kauf.“
Dr. Claudia Haupt, niedergelassene Kinder- und Jugendärztin in Hamburg: „Die sehr hohe Belastung der kinderärztlichen Versorgung in Hamburg hat mehrere Ursachen; eine wesentliche ist die chronische Unterfinanzierung des Systems. Wir erhalten einen großen Teil unserer Leistungen von den Kassen nicht bezahlt. Das so wichtige Vorhaben der Bundesregierung, Haus- und Kinderärzte zu entbudgetieren, ihnen also alle Leistungen künftig voll zu vergüten, steht zwar im Koalitionsvertrag, wird aber definitiv nicht umgesetzt. Daher fordern wir mehr Ärztinnen und Ärzte und endlich die volle Bezahlung aller Leistungen.“
Dr. Silke Lüder, niedergelassene Hausärztin in Hamburg: „Ebenso belastet wie die Kinderarztpraxen sind derzeit aufgrund der herrschenden Infektwellen auch die Hausarztpraxen. Wo werden die vielen Millionen Einwohner, die augenblicklich krank sind, behandelt? In den Kliniken? Nein, die behandeln wir Hausärztinnen und Hausärzte, die außerdem den ganzen ambulanten Notdienst stemmen und in den diversen Notfallpraxen und im fahrenden Notdienst nachts und am Wochenende Dienst schieben. Die Anzahl der Notfallpraxen ist mittlerweile auf acht angewachsen; der Großteil der Kosten wird hierfür von den Niedergelassenen allein getragen. Das alles kann in diesem Umfang künftig nur noch geleistet werden, wenn die ambulante Versorgung korrekt finanziert wird.
John Afful, Vorstandsvorsitzender der KV Hamburg, sagte: „Die Bundesregierung lässt die Praxen allein mit der Aufgabe, die Quadratur des Kreises zu vollbringen: Steigender Kostendruck und hohe Budgetierung auf der einen, steigende Patientenzahlen auf der anderen Seite. Wir brauchen dringend mehr Ärztinnen und Ärzte, daher muss das Budget weg. Oder wir werden unser Gesundheitssystem – so wie wir es kannten – bald nicht mehr wiedererkennen.“
„Lauterbach gefährdet die ambulante Versorgung!“ – Protest sieht auch Praxisschließungen in Hamburg vor
Pressemeldung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg
Hamburg, 30.09.2022 – `Lauterbach saugt Praxen aus – und gefährdet damit Ihre Versorgung´, so lautet der Titel einer Informationskampagne, mit der die Hamburger Vertragsärztinnen und -ärzte und Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten gegen die Sparpolitik des Bundesgesundheitsministers protestieren. Die Niedergelassenen warnen vor einer massiven Verschlechterung der ambulanten Patientenversorgung. Die Protestmaßnahmen sind heute der Öffentlichkeit vorgestellt worden: Neben einer umfassenden Patienten-Informationskampagne wird es auch zu Praxisschließungen kommen; zahlreiche Hamburger Ärztinnen und Ärzte samt Praxisteams werden am kommenden Mittwochvormittag (5. Oktober) an einer Protest- und Fortbildungsveranstaltung teilnehmen.
Dr. Björn Parey, stellvertretender Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Hamburg, sagte: „Lauterbach gefährdet die ambulante Versorgung unserer Patientinnen und Patienten, dagegen müssen wir uns wehren. Es wird unweigerlich zu Leistungskürzungen kommen, zu Einschränkungen des Angebots von Sprechstunden, längeren Wartezeiten auf Termine und Aufnahmestopps in den Praxen. Und wir müssen unsere Patientinnen und Patienten darüber informieren, welche verheerenden Auswirkungen es für sie hat, wenn die Politik dem ambulanten System immer mehr Mittel entzieht. In einer Zeit, in der sehr viele Praxen durch Superinflation, explodierende Energiekosten und weiterhin sehr hohe Zwangsrabatte ohnehin massiv unter Druck stehen, treffen die geplanten zusätzlichen Kürzungen nun besonders hart – und sind nebenbei auch ein desaströses Signal an den ärztlichen Nachwuchs.“
Dr. Andreas Bollkämper, niedergelassener Facharzt für Radiologie in Hamburg, sagte: „Die Praxen haben sich auf die Zusagen der Politik verlassen – und geliefert. Aufgrund der Regelungen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), wonach die Behandlung von Neupatienten seit 2019 ohne Abschläge vergütet werden, wurde in zusätzliche Versorgungsangebote investiert; die Praxen haben ihre Sprechstundenzeiten und ihr Terminangebot ausgeweitet, mehr Neupatienten aufgenommen, Praxisabläufe umorganisiert, Arbeitszeiten der Praxisteams erhöht. Damit wurde die Versorgung signifikant verbessert, die Wartezeiten konnten drastisch verkürzt werden. Wird jetzt der Großteil dieser Zusagen wieder zurückgenommen, ist dies zutiefst unfair. Wir brauchen niedrigschwellige Terminangebote, offene Sprechstunden besonders für Patientinnen und Patienten in schwächer versorgten Regionen, für Neupatienten und Neuzugezogene. Deshalb müssen die jetzigen Regelungen beibehalten werden.“
Dr. Silke Lüder, niedergelassene Hausärztin in Hamburg und Mitglied des Protest-Komitees, sagte: „Wenn künftig die Wartezeiten auf Facharzttermine länger werden, führt das dazu, dass unsere Patientinnen und Patienten mit dringendem Behandlungsbedarf verstärkt in der Klinik landen – das ist schlecht für sie und verteuert die Versorgung. Lauterbachs Ministerium behauptet zwar, dass sein Spargesetz nur die Fachärzte beträfe, das ist aber nicht der Fall. Auch die Hausarztpraxen sind in Hamburg ganz besonders betroffen; wir haben bundesweit die „rote Laterne“, jede fünfte Leistung wird unseren Praxen nicht bezahlt. Gleichzeitig werden Milliarden verschwendet für überflüssige Konnektor-Austausch-Aktionen oder umgeleitet in andere Strukturen wie Gesundheitskioske oder Apotheken, die Aufgaben übernehmen sollen, die den Hausärzten obliegen. Das ist absurd.“
John Afful, Vorstandsvorsitzender der KV Hamburg, sagte: „Die Hamburger Praxen haben viel geleistet: Seit Einführung der Neupatientenregelung 2019 bis Ende 2021 stieg die Versorgung von Neupatienten um 19 Prozent auf eine Anzahl von insgesamt 6,1 Millionen, allein in Hamburg. Gleichzeitig wurden insgesamt vier Prozent mehr Fälle in Hamburger Praxen versorgt. Gerade in den sozial schwächeren Stadtteilen haben die Praxen für eine Ausweitung der Behandlungskapazitäten gesorgt. Die jetzigen Pläne der Politik gefährden das, was bislang schon erreicht wurde.“
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Verweis auf Notfallversorgung am 5. Oktober
Patientinnen und Patienten können sich an diesem Tag während der Praxisschließungen gern an den ärztlichen Bereitschaftsdienst Arztruf Hamburg über die 116117 wenden. Die KV Hamburg hat die Kapazitäten im fahrenden Notdienst erhöht; außerdem werden das INZ am Marienkrankenhaus sowie die Notfallpraxen in Harburg, Altona und am Bundeswehrkrankenhaus bereits ab 8 Uhr geöffnet sein. Der kinderärztliche Notdienst wird ebenfalls ab 8 Uhr in der Notfallpraxis Altona der KV Hamburg sichergestellt.
Zum Hintergrund:
Die Neupatientenregelung war von Karl Lauterbachs Vorgänger im Amt, Jens Spahn, im Jahr 2019 als Teil eines umfassenden Reformpaketes eingeführt worden. Die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten wurden dazu verpflichtet, gleichzeitig ihre Sprechstunden auszuweiten, offene Sprechstunden einzurichten, mehr schnelle Termine anzubieten und zusätzliche Neu-Patienten aufzunehmen. Im Gegenzug erhalten die Praxen seither die Vergütung für diese Fälle extrabudgetär, also ohne Zwangsrabatte und Abschläge. Lauterbach hat damals als Bundestagsabgeordneter dieses Gesetz vollumfänglich mitgetragen, ja gefordert. Lauterbach plant jetzt, diese Regelung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zu streichen. Auf einer Sondersitzung hatte die Vertreterversammlung der KV Hamburg beschlossen, ein Protest-Komitee zu installieren und Protestmaßnahmen durchzuführen.